Belsazars Alptraum – Info

Belsazars Alptraum

Wer ist Belsazar?

Der Belsazar der Bibel, der auch in Heines Gedicht und Rembrandts Gemälde beschrieben wird, war der gottlose Herrscher von Babylon. Durch eine »wie von Geisterhand« an der Wand erscheinende »Flammenschrift«, das »Menetekel«, das weder er noch die Gelehrten seines Reiches deuten konnten, wurde er in seinem lästerlichen Tun erschüttert und in der Folge von seinen eigenen Schergen umgebracht.

Heute gehören Schriften an der Wand ganz selbstverständlich zu unserer Umgebung, sie begleiten uns auf Schritt und Tritt. Firmen schreiben ihre Namen auf Hausdächer und -wände. Ihre Werbung lockt mit Kleingedrucktem und schönem Schein; ihre Marken werden mit Leuchtschriften in unser Bewusstsein gebrannt. Sie grüßen das Volk von oben herab und definieren seine Kultur: Konsum!

Das ist »Belsazars Welt«.

Und dann gibt es da andere Hauswände, übersät mit Graffiti, andere Mauern, mit kleinteiligen Plakaten beklebt, die Musik und Veranstaltungen ankündigen oder politische und, ja, philosophische Aussagen enthalten oder einfach rätselhaft bleiben. Dies ist der Ausdruck dafür, dass hier Leute leben, die anders sind als der Rest der Stadt, für die Konsum, Marken und alle »bürgerlichen« Werte keine Bedeutung haben. Der Konsumwelt der riesigen Werbetafeln wird hier eine Absage erteilt.

Das ist »Belsazars Alptraum«.

Der heutige Belsazar bringt die »Schrift an der Wand« selbst an, um dadurch seine Herrschaft zu befestigen. Die Bedrohung für ihn, der »Alptraum«, kommt von der Gegenwelt, die diese Herrschaft in Frage stellt, die ihre eigenen Zeichen an die Wand schreibt und die Zeichen der Herrschenden, die Regeln der Herrschenden, für sich nicht gelten lassen will. Das Kleinteilige ist geradezu ein wunderbarer Ausdruck für den Gegenentwurf, für die Absage an die Gigantomanie und die Beherrschung der Öffentlichkeit und der Gesellschaft durch die Wirtschaft.

Doch der heutige Belsazar ist zu mächtig und zu selbtherrlich, um sich in seinem Tun dauerhaft erschüttern zu lassen. Anders als der biblische Belsazar wird er nicht »von seinen Schergen umgebracht«. Mit dem, was mit dem wohlklingenden Wort Gentrifizierung verschleiert wird, rückt er den Verweigerern auf die preiswerte Bude. Er zerstört das, was den Kiez eigentlich attraktiv gemacht hat, weshalb Leute von außerhalb gern dort wohnen wollten: Lebendigkeit, alternatives Leben, Alternativen zum normalen Konsum.

Tragisch daran ist, dass das eigentlich ein Erfolg der Nicht-System-Konformen ist. Sie schaffen in ihrem Kiez eine Atmosphäre, die so anziehend ist, dass sie durch Tourismus und Zuzug letzten Endes zerstört wird.

Die, die diese Atmosphäre geschaffen haben, werden vertrieben, weil sie sich die schöne neue Welt der hohen Rendite-Erwartungen nicht leisten können. An ihre Stelle setzen sich die Betuchteren, die System-Erhalter und -profiteure. Nicht Wirtschaftsflüchtlinge, sondern Wirtschaftsbesatzer. Occupy mit umgekehrten Vorzeichen. So erzeugt sich Belsazar seine Alternativlosigkeit selbst.

Das ist »Belsazars Rache«.